Die Sprachlosigkeit überwinden“ – Theo-Koch-Schüler:innen sprechen über Krieg in Israel

 

Am Morgen des 7. Oktober erwachte Katharina Hillmann, 2013-er Abiturientin der Theo-Koch-Schule und derzeit Doktorandin der Philosophie an der Bar Ilan-Universität im Süden von Tel Aviv, vom Heulen der Sirenen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nicht, dass der 10. Oktober 2023 als ‚Black Saturday‘ oder als Israels ‚9/11‘ in die Geschichte eingehen würde.

 

Wie alle, die in dem ständig von Terrorangriffen bedrohten Land leben, kannten Hillmann und ihre beiden argentinischen Mitbewohnerinnen das Prozedere: Es bleiben dreißig bis neunzig Sekunden, um sich in den ‚Safe room‘ des Apartments zu flüchten, Türen und Fenster zu schließen und darauf zu warten, dass der Alarm aufgehoben wird – weil entweder die Raketen irgendwo eingeschlagen sind oder weil sie vom Raketenabwehrsystem ‚Iron Dome‘ abgeschossen wurden.

 

„Seit zwei Jahren lebe ich in Israel“, erzählte die 28-Jährige. „Schon zweimal habe ich in dieser Zeit Raketenalarm erlebt. Das kennt man dort. Aber spätestens, als meine orthodoxen Freunde anriefen, um sich nach unserem Ergehen zu erkunden – was sie normalerweise am Sabbat nicht tun würden –, wurde uns klar, dass dieser Angriff anders war. ‚Diesmal ist es ernst‘, sagten sie. Im Laufe des Tages, als immer mehr schreckliche Details bekannt wurden, begriffen wir dann nach und nach das volle Ausmaß.“

 

Was waren ihre ersten Reaktionen nach dem Terrorangriff? So lautete die erste Frage aus der von TKS-Lehrerin Christina Müller moderierten Gesprächsrunde am Freitag, 10. November 2023. Unter den Diskutanten, die sich in der Schulbibliothek zusammengefunden hatten, waren die Teilnehmenden des PoWi-Leistungskurses von TKS-Lehrerin Rebecca von Meyerinck, weitere (auch ehemalige) TKS-Lehrkräfte und als externer Gast Lilian Lamadieu, die neue Grünberger Koordinatorin für Gemeinwesenarbeit im Landkreis Gießen. Co-Referent neben Katharina Hillmann war der 34-jährige Andreas Artz von der Jüdischen Gemeinde Gießen.

 

Die ersten Reaktionen nach dem Terrorüberfall, so Hillmann und Artz übereinstimmend, seien nicht so sehr Wut oder Hass gewesen, sondern – nach der ersten Schockstarre – Trauer, Verzweiflung und ein Gefühl der Ohnmacht. Andreas Artz: „Wir fragten uns: Wie geht es unseren Familien und Freunden? Was passiert mit den Geiseln? Wie wird die Stimmung für uns Jüdinnen und Juden in Deutschland sein? Werden wir wieder zur Zielscheibe werden? Müssen wir wieder für irgendetwas herhalten?“

 

„Bei mir“, so Katharina Hillmann, „kam die Wut erst mit den Reaktionen im Internet. Schon kurz nach dem Terrorüberfall las ich die ersten Kommentare: ‚Man muss das doch verstehen. So wie die Israelis die Palästinenser behandeln – das war doch nur eine Frage der Zeit, bis die sich wehren.‘“ Und Andreas Artz ergänzte: „Inzwischen bin ich auch wütend. Und zwar nicht auf die palästinensische Zivilbevölkerung, sondern auf die Terrormiliz Hamas, die diese als menschliche Schutzschilde missbraucht und keine Hilfsgüter durchlässt.“

 

In der offenen und ungezwungenen Atmosphäre der Gesprächsrunde – die Teilnahme war freiwillig – konnten auch schwierige Fragen diskutiert werden: Müssen wir und als Schüler:innen in dem Konflikt positionieren? Wie gewinnen wir – bei den ohnehin überfrachteten Lehrplänen – ein möglichst differenziertes Bild vom Nahost-Konflikt? Sind wir als Lehrkräfte darauf vorbereitet, mit verschiedenen Formen des Antisemitismus umzugehen? Wie können wir Kritik am israelischen Regierungshandeln von israelbezogenem Antisemitismus unterscheiden? Was können wir tun, um unsere Solidarität mit hier lebenden jüdischen Menschen zu bekunden und Antisemitismus in unserem Land zu bekämpfen?

 

Auf die letzte Frage hatte Andreas Artz, der zum ersten Mal an der Theo-Koch-Schule zu Gast war, schon in seinen einleitenden Worten eine Teilantwort gegeben: „Es berührt mich, dass ihr heute hier seid und damit ein Zeichen der Solidarität mit jüdischen Menschen setzt.“ Am Ende rief Katharina Hillman rief dazu auf, sich bewusst und gründlich mit den aktuellen Ereignissen auseinanderzusetzen: „Nie gab es so viele Bilder wie in diesem Krieg. Allerdings: Bilder sind oft unterkomplex. Wir sollten uns Zeit nehmen zum Nachdenken, uns mit tiefergehenden Analysen beschäftigen. Und versuchen, mit klaren Worten die Sprachlosigkeit zu überwinden.“

 

(Text und Bild von Christina Müller, Lehrerin an der Theo-Koch-Schule, Grünberg)

 

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